Sinnenfroh, witzig und zugleich märchenhaft

Ausstellung mit Plastiken von Ute Thiel in Winninger Galerie

Dichter erlagen zu allen Zeiten der Faszination der leider einmal wöchentlich fischschwänzigen Melusine. Das Sinnliche, Märchenhafte, Dämonische der Melusine mag es auch gewesen sein, das die Bildhauerin Ute Thiel dazu inspirierte, sich ihrer plastisch anzunehmen. Vielen der aus Ton oder Bronze geformten Wesen der Künstlerin, die jetzt die Winninger Galerie im Kelterhaus bevölkern, eignet etwas von dem Zwitterartigen und damit reizvoll rätselhaften der schönen Nixe.

Gepaart allerdings fast immer mit einem gehörigen Schuß Witz,.Vor dem ist selbst Melusine nicht sicher. Hier ringelt sich um ihren Körper statt des Fisch- oder Schlangenschwanzes ein profanes Stück Gartenschlauch, dort darf sie auch mal gegen Malheur beim Absturz durch ein daruntergelegtes Kissen genügend gesichert, ihr feuchtes Element verlassen und - endgültig von allem Dämonischen befreit - engelsgleich in der Luft schweben. Ganz davon abgesehen, daß sie den anderen menschlichen Wesen ohnehin äußerst verwandt ist in ihrer sinnenfrohen Körperlichkeit.

Körperlich, sinnlich sind sie alle, die kleinen, mit Freude an der üppigen, runden Form geschaffenen Plastiken der Bildhauerin - die keramischen, mit einer rauchig-samtigen Raku-Haut überzogenen, genauso wie die in dunkel-schimmernder Bronze gegossenen, die "Rübenköniginnen" im tönernen Blumentopf genauso wie die spitzköpfige und -brüstige "Mäusekönigin. Ins Wanken geraten, eben wie bei der Meerfee Melusine, die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Pflanze oder schlichtem Gegenstand. Da werden Brezeln zu ausgeprägt geschlechtsbetonten Männlein oder Weiblein, entpuppen sich Frauen als Robben oder Rüben als Frauen, lassen sich kunstvoll geschlungene Knoten als menschliche Körper entwirren oder menschliche Körper als knubbelige Knoten uminterpretieren. Genau das aber macht Lust dazu, diese Plastiken in die Hand zu nehmen, sie zum Spielen zu gebrauchen - in einem nicht weniger sinnlichen Erlebnis, als es ihr Enstehungsprozeß für die Künstlerin gewesen sein mag.

Lieselotte Sauer-Kaulbach in: Koblenzer Rheinzeitung, 28.9.1995